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Interdisziplinäres Forschungsprogramm
Im Rahmen des vom Forschungsinstitut für Philosophie der Ungarischen
Akademie der Wissenschaften organisierten und von WESTEL unterstützten
interdisziplinären Forschungsprogramms Die mobile Informationsgesellschaft
wurde am 11.-12. März 2001 in Dunabogdány ein Workshop durchgeführt.
Die Vorträge des Workshops wurden abgedruckt
(Mobil információs társadalom: Tanulmányok,
szerk. Nyíri Kristóf, Budapest: MTA Filozófiai
Kutatóintézete, 2001). Wir bringen hier die deutschen Zusammenfassungen
der Beiträge in der Übersetzung von Piroska Draskóczy.
DIE MOBILE INFORMATIONSGESELLSCHAFT
Kristóf NYÍRI: Einleitung
Péter GEDEON: Die Auswirkungen der mobilen Informationstechnologie
auf die Wirtschaft
András KARÁCSONY: Die Transformation der politischen
Kommunikation
Mária HELLER: Neue Kommunikationssituationen und -bedürfnisse.
Die Entstehung der hierarchischen Öffentlichkeiten
Béla MESTER: Dokumente im akustischen Raum: Text und Rede
per Mobiltelefon
Sándor FERENCZ: Der Einfluß der mobilen Kommunikationsmittel
auf unseren Informationshabitus
Csaba PLÉH: Die Veränderungen der kognitiven Architektur
und die heutige Informationstechnologie
Valéria CSÉPE:
Kognitive Entwicklung und mobile
Informationsgesellschaft
Klára SÁNDOR:
Die mobile Gesellschaft und die Sprache:
Etwas Neues oder dasselbe aufs Neue?
Zsuzsanna KONDOR: Philosophie, Wissen, Kommunikation
János LAKI - Gábor PALLÓ: Die Wandlung der
wissenschaftlichen Kommunikation
László FEKETE: Mensch, Maschine und Kommunikation:
Einige Jahre vor der Konvergenz der Kommunikationsmittel
Zusammenfassungen
Kristóf NYÍRI: Einleitung
Das einleitende Essay führt die berühmten Zeilen von T.S Eliot, "Where
is the wisdom we have lost in knowledge? Where is the knowledge we have
lost in information?" an, um nach einer kurzen Analyse darauf hinzuweisen,
daß obwohl zwischen den Begriffen "Information" und "Wissen" zweifellos
Bedeutungsunterschiede bestehen, Information im richtigen Kontext durchaus
als Wissen gelten kann. Und zwar wird das die zukünftige - mobile
- Informationsgesellschaft kennzeichnende Wissen ein weniger entfremdetes
sein, als jenes der Kultur des Buchdruckes. Mobile, interaktive, multimediale
Vernetzung kommt einer Heimkehr, auf höherer Ebene, zu der natürlichen
menschlichen Kommunikationsumwelt gleich.
Péter GEDEON: Die Auswirkungen der mobilen Informationstechnologie auf die Wirtschaft
In der Wirtschaft wirken die technologischen und die institutionellen
Veränderungen wechselseitig aufeinander ein. Die neuen Technologien
setzen neue Arten der Regelung und neue wirtschaftliche Verhaltensweisen
voraus. Die mobile Informationstechnologie trägt - im Rahmen des Durchbruchs
der Informationstechnologie überhaupt - zu diesen Veränderungen
bei. Der Vortrag untersucht, welche wirtschaftlichen Vorgänge mit
der Informationstechnologie im allgemeinen und mit der mobilen Informationstechnologie
- dem Mobiltelefon - im besonderen zusammenhängen. Das durch die Informationstechnologie
entstandene neue technologische und Regelungssystem löst das System
der traditionellen Massenproduktion ab. So werden die Auswirkungen des
ersteren aufgrund des letzteren verständlich. Einen Bezugspunkt bei
der Untersuchung der Auswirkungen des Mobiltelefons bilden die Massenproduktion
und das ihr zuzuordnende Festnetztelefon, den anderen die neue Informationstechnologie
und das Internet. Der Vortrag stellt dar, welche Rolle das Mobiltelefon
hinsichtlich der Reduzierung der Transaktionskosten, der Entstehung der
Firma mit Netzwerkstruktur (network enterprise), der Mobilität der
Produktionsfaktoren und der Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Netzwerke
spielt.
András KARÁCSONY: Die Transformation der politischen Kommunikation
Durch sein Erscheinen als neues Medium macht das Mobiltelefon ein Überdenken
der Konventionen hinsichtlich der Interpretation der Kommunikationssituation
erforderlich. Grundlegend neu ist, daß sich das Kommunikationsmittel
aus der räumlichen Fixierung gelöst hat. Das heißt, daß
durch dieses Mittel nicht die an einem bestimmten Punkt des Raumes befindliche
Person erreichbar ist, sondern gerade umgekehrt: eine bestimmte Person,
wo immer sie auch sei. Diese Personengebundenheit hat auch in der politischen
Kommunikation zu Veränderungen geführt. Die mündliche Kommunikation
hat an Bedeutung gewonnen, was ein größeres Vertrauen der Akteure
des politischen Lebens zu einander voraussetzt. Damit gibt es neben der
traditionellen hierarchischen Struktur einen neuen Integrationsfaktor (Vertrauen)
in der internen Welt der Politik. Die Mündlichkeit lockert zugleich
die an die Schriftlichkeit gebundene bürokratische Sprache auf. Ein
weiterer Faktor, der der organisatorischen Zentralisierung entgegenwirkt,
besteht darin, daß Experten und Berater durch die mobilen Verbindungen
leichter in den täglichen Kommunikationsfluß der Politik einbezogen
werden können. Die Verbreitung des Mobiltelefons bringt nicht nur
in der internen Kommunikation der Politik Neues, sondern hat auch weitreichendere
damit zusammenhängende Auswirkungen, und zwar hinsichtlich der politischen
Öffentlichkeit sowie der Verwaltung.
Mária HELLER: Neue Kommunikationssituationen und -bedürfnisse. Die Entstehung der hierarchischen Öffentlichkeiten
Infolge der Verbreitung der neuen Informations- und Kommunikationsmittel (ICT) ist deutlich geworden, daß es zweckmäßig ist, die verschiedenen Arten der Kommunikation innerhalb eines einzigen theoretischen Systems zu untersuchen. Nur so kann man über die grundlegende Veränderung der Kommunikationssituation berichten. Die neuen Informations- und Kommunikationsmittel haben nämlich die räumlichen und zeitlichen Grenzen der Kommunikationssituation und somit auch die Kommunikationsmuster und -gewohnheiten der Mitglieder der Gesellschaft radikal verändert.
Die Verbreitung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologie hat auch die wissenschaftliche und laienhafte Repräsentation in der Öffentlichkeit verändert. Die Öffentlichkeit ist an der Grenze zwischen Gemeinschaft und der Privatsphäre entstanden, doch auch diese Opposition wandelt sich ständig (Meyrowitz), und dies induziert nach der ersten strukturellen Veränderung der Öffentlichkeit (Habermas) eine erneute strukturelle Veränderung. Anstelle der früher existierenden einzigen Öffentlichkeit entstehen mehrere Öffentlichkeiten von unterschiedlicher und sich überschneidender Ausdehnung (Keane).
Die schnellen technologischen
Veränderungen ziehen tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen
nach sich, was zahlreiche neue theoretische Probleme aufwirft. Ein Teil
der Gesellschaftswissenschaftler ist pessimistisch. Sie sehen eine immer
tiefere Kluft innerhalb der einzelnen Gesellschaften sowie zwischen den
Gesellschaften und halten den Rückstand für unaufholbar (Castells).
Doch die Entwicklung hat auch positive Auswirkungen. So gibt es wieder
mehr Möglichkeiten der aktiven, kreativen Kommunikation im Gegensatz
zum passiven Konsum. Und die Möglichkeit der Teilnahme an den lokalen,
nationalen, regionalen und globalen Öffentlichkeiten gibt der interaktiven
Kommunikation der (lokalen, regionalen, Staats- und Welt-) Bürger
neue Impulse. Durch die mobilen Kommunikationsmittel sind diese Entwicklungsmöglichkeit
noch sicherer und leichter zu erreichen.
Béla MESTER: Dokumente im akustischen Raum: Text und Rede per Mobiltelefon
Die bisherige Geschichte der Zivilisation kann man auch als eine Entwicklung vom akustischen Raum der archaischen Kommunikation zu einem Raum der visuell geordneten Informationen betrachten. Die neue Technologie zur Übermittlung und Speicherung von Informationen muß nicht der Endpunkt dieser Entwicklung sein, denn auch wenn wir mit den neuen visuellen, schriftlichen und akustischen Informationen anders umgehen als mit dem gedruckten Buch, betrachten wir sie doch als in sich geschlossene Dokumente. Die über das Mobiltelefon übermittelten textuellen, akustischen und - gegenwärtig noch im Embryonalzustand befindlichen - visuellen Informationen hingegen verlieren, nahezu unabhängig von der Absicht des Mitteilenden, diese Geschlossenheit und lösen sich in den über das Telefon sowie im physischen Raum geführten Gesprächen des Nutzers auf, werden gleichsam zu Geländeobjekten, so wie es Verkehrszeichen und Plakataufschriften sind.
Haben wir es bei dieser Entwicklung mit der neuen „zweiten Mündlichkeit"
zu tun, die der menschlichen Natur viel besser entspricht als die Buchkultur,
oder mit dem Beginn des kulturellen Verfalls? Der Vortrag vertritt den
Standpunkt, daß beide Anschauungen unrichtig sind. In der Geschichte
der auf verschiedenen Medien basierenden menschlichen Kommunikation kam
es nämlich selten vor, daß alle Mitglieder einer Gemeinschaft
dasselbe Verhältnis zu den Informationsträgern hatten. Die neue
Trennungslinie zeichnet sich zwischen den „Redakteuren der Dokumente" und
den „Nutzern" ab, die ihre Produkte als Nichtdokumente konsumieren.
Sándor FERENCZ: Der Einfluß der mobilen Kommunikationsmittel auf unseren Informationshabitus
Der Vortrag untersucht die
Gegenwart der mobilen Kommunikation, insbesondere ihre am weitesten verbreiteten
Erscheinungsformen, nämlich SMS und WAP.
Der Begriff Informationshabitus bringt jenes aktuelle Grundverhalten
des sich informierenden und der einander informierenden Menschen zum Ausdruck,
das ebenso von der gewohnheitsmäßigen Sozialisation wie von
individuellen anthropologischen Merkmalen bestimmt wird. Unsere auf diese
Weise aktiven und umfassenden Qualitäten, die unsere Entscheidungen
von vornherein determinieren, nennt man - im weiteren Sinne - auch Geschmack.
Der Vortrag geht von der These aus, daß die mobile Kommunikation kein „reduziertes Internet" ist, daß also die genannten Datenformate als Erscheinungen sui generis der Informationsgesellschaft anzusehen sind; und kommt zu der Schlußfolgerung, daß SMS und WAP unser Informationshabitus und unseren diesbezüglichen Geschmack nachhaltig beeinflussen werden - auch wenn sie aufgrund ihres Erfolgs und ihrer gegenwärtigen Einschränkungen (Umfang und Kosten) in technologischer Hinsicht sehr bald überholt sein werden. Die neuerdings bestehende Veränderlichkeit unseres Informationshabitus wird also vermutlich langfristige Auswirkungen haben. Die Grundlage für den nachhaltigen Einfluß besteht gerade darin, daß die „textuelle Knappheit" - die sich gegenwärtig explosionsartig verbreitet - einen Zwang zur Rationalisierung zur Folge hat, der Analogien zur „Knappheit der Ressourcen" der Pionierzeit der Computerprogrammierung aufweist.
Die Tatsache, daß SMS
und WAP zu determinierenden Faktoren für den Trend und den Stil des
Informationsverhaltens werden, führt zum einen dazu, daß wir
uns an kompaktere, knappere, schnelle und redundanzfreie Datenformate gewöhnen.
Zum anderen aber können die segmentierten und schablonenhaften Informationen
unser Denken dekomponieren und dazu führen, daß es leichter
zu beeinflussen und eventuellen Manipulationen in größerem Maße
ausgeliefert sein wird. Die Konvergenz signalisiert nicht nur die Technologie,
sondern auch die Verwischung der Grenzen zwischen den Kompetenzbereichen
von Service-providern und Content-providern.
Csaba PLÉH: Die Veränderungen der kognitiven Architektur und die heutige Informationstechnologie
1. Eine wiederkehrende Frage in der kognitiven Forschung ist heute, inwieweit sich als relativ stabil verstandene - oder modulare - Strukturen mit dem Auftreten von Systemen, die eine gemeinsame Semantik voraussetzen, wie es die natürliche Sprache und dann die Schrift waren, verändert haben. Es gibt mehrere Vorschläge - z.B. Donald oder Mithen -, die hinsichtlich der Paläontologie der Erkenntnis, das heißt der Menschwerdung und der prähistorischen Entfaltung des modernen Menschen, betonen, daß unsere kognitiven Systeme, welche eine Einstellung durch individuelles Lernen voraussetzen, mittels der gemeinschaftlichen Semantik flexibel geworden sind.
2. Donald geht jedoch auch von einer größeren, zumindest aber hinsichtlich der heutigen Kulturträger wichtigeren, Veränderung aus, wenn er behauptet, daß mit der Schrift die externen Wissensträger entstehen - und somit die Idee des als objektiv geltenden Wissens. In der individuellen Architektur bildet dies die Denkweisen heraus, die auf der Wechselwirkung zwischen den körperlichen (internen) und den außerhalb des Körpers angesiedelten Erinnerungssystemen basieren, und hat somit zu Veränderungen der Architektur geführt.
3. All dies hat einen direkten Bezug zur Gegenwart. Die vernetzten Informationsträger stellen eine neue Form des Zugangs zum Wissen dar. Beispielsweise insofern, als zur Verwendung des Wissens nunmehr weniger Vorbereitung erforderlich ist. Dies gilt sowohl langfristig (Ausbildung) als auch kurzfristig (man braucht nicht mehr die physische Bibliothek und das Buch darin zu finden). Die große psychologische Frage ist nun, ob sich dadurch die Struktur des menschlichen Denkens und das ganze System der sozialen Bestätigung des Denkens - über die bloßen Metaphern hinaus - verändern. Findet infolge der heutigen Informationsrevolution eine Veränderung der Architektur statt?
4. In Verbindung damit werden
hier folgende Teilfragen behandelt:
4.1. Zugang zum Wissen und
die Veränderung der Lernstrategien: langfristige Veränderungen.
4.2. Auf Wissen basierende
Verarbeitung von und Suche nach Informationen. Bewirkt die neue Technik
vielleicht eine „Top--Down"-Verschiebung?
4.3. Die Veränderung
der Kriterien bezüglich der Gewißheit des Wissens und ihre psychologischen
Folgen. Die Veränderung der naiven Erkenntnistheorie.
4.4. Die Folgen der Veränderung
des kommunikativen Zugangs und der Erreichbarkeit.
Valéria CSÉPE: Kognitive Entwicklung und mobile Informationsgesellschaft
Mit dem Erscheinen neuer
Informations- und Kommunikationstechnologien, wie es z.B. das Mobiltelefon
ist, ändert sich die Beschaffenheit der Lese- und Schreibfertigkeit
und des Lernens rapide. Diese Technologien sind neue Herausforderungen
und bieten neue Möglichkeiten hinsichtlich der bestmöglichen
Vorbereitung auf die Veränderungen der kognitiven Struktur des Menschen.
Der Mensch kommuniziert von Natur aus gerne, teilt sich gerne mit, und
dies zeigt sich auch im intensiven Gebrauch des Mobiltelefons deutlich.
In der Welt der fünf Sinne experimentieren wir freizügig mit
Sprache, Tonfall, Gestik und Mimik - als Mitteln zum Ausdruck der Bedeutungsnuancen.
Das Mobiltelefon, das wir für Gespräche und Textmitteilungen
(SMS) verwenden, bietet nur wenige dieser Möglichkeiten.
Die Standardoptionen für
das Eingeben von SMS-Mitteilungen auf den gegenwärtig allgemein gebräuchlichen
Mobiltelefonen beinhalten eine Reihe von Einschränkungen. Dies gilt
insbesondere für Sprachen wie Ungarisch, die Buchstaben mit diakritischen
Zeichen enthalten. Allerdings wird der Mensch, sobald er sich mit Einschränkungen
der Kommunikationsmöglichkeiten konfrontiert sieht, sogleich ausgesprochen
kreativ, um die Hindernisse zu überwinden. Die wenigen Studien, die
Psychologen bisher, zumeist unter Verwendung von Fragebögen, durchgeführt
haben, waren vor allem auf die allgemeinen Gewohnheiten der Mobiltelefonbenutzer
ausgerichtet. Die gegenwärtige Untersuchung beschränkt sich nicht
auf diese Methode, die Aufschluß über jenen Teil des Verhaltens
der Testpersonen gibt, dessen sie sich selbst bewußt sind, sondern
bezieht das Mobiltelefon als Mittel zur Gewinnung von Onlineinformationen
über die Textgestaltung mit ein. Das Ziel war, Informationen über
kognitive Veränderungen in der Handhabung von Raum und Zeit als Folge
der intensiven Benutzung mobiler Geräte zu erhalten. Wie die Ergebnisse
zeigen, entwickelten die Verfasser der SMS-Mitteilungen eine Vielfalt von
Strategien, um die Hindernisse zu umgehen. Diese Strategien korrelieren
mit dem Grad der Lese- und Schreibfertigkeiten und der Motivation der jeweiligen
Testperson sowie mit der Art der gestellten Aufgabe. Die detaillierte Analyse
der SMS-Texte brachte neue Arten von Wörtern zum Vorschein, die der
Reduzierung der Anzahl von Zeichen und der Eingabezeit dienen. Im allgemeinen
handelt es sich um verzerrte Abkürzungen und Akronyme, wobei einige
ausgesprochen einfallsreich und kreativ waren. Ein interessantes Ergebnis
der Studie ist, daß bei den Mobiltelefonbenutzern im Alter von etwa
20 Jahren eine besondere Veränderung in der Handhabung von Raum und
Zeit zu beobachten war.
Es wird geplant weitere Untersuchungen
durchzuführen, um die Möglichkeiten der Verwendung des Mobiltelefons
zur Erhebung psychologischer Daten online zu ergründen.
Klára SÁNDOR: Die mobile Gesellschaft und die Sprache: Etwas Neues oder dasselbe aufs Neue?
Computer und Mobiltelefone
werden oft bezichtigt, den ungarischen Sprachgebrauch zu zersetzen. Diese
Meinungen sind zum einen Teil nur Spekulationen, die auf dem "gesunden
Menschenverstand" basieren, zum anderen die Folge von Vorurteilen. In Wirklichkeit
aber wissen wir sehr wenig über die Auswirkungen der neuen technischen
Entwicklungen auf den Sprachgebrauch, da es in Ungarn bisher keine entsprechenden
Untersuchungen gegeben hat. Ausgehend von den Ergebnissen früherer
derartiger Untersuchungen, die die Sprache begrifflich als Teil des menschlichen
Verhaltens verstehen, wird im Vortrag aufgezeigt, was für neue Auswirkungen
es auf die Sprache haben kann, daß die physischen Umstände für
den täglichen Kontakt und somit die Schaffung und Erhaltung enger
gesellschaftlicher Beziehungsnetze immer weniger Einschränkung bedeuten.
Eine mögliche Folge kann eine Etwicklung sein, bei der die Sprache
aus der gegenwärtigen asymmetrischen Konstellation, die auf der Überlegenheit
der durch die Schriftlichkeit sanktionierten Standardsprache basiert, wieder
zu einem natürlicheren Zustand zurückfindet, dem die Wechselseitigkeit
der Unterschiede zwischen den Sprachvarianten zugrunde liegt. Der Vortrag
legt einen Vorschlag für ein Forschungsprojekt vor, das Daten zur
Prüfung dieser Hypothese liefern soll.
Zsuzsanna KONDOR: Philosophie, Wissen, Kommunikation
Die gemeinsame Untersuchung
von philosophiegeschichtlichen, kommunikationsgeschichtlichen und wissenschaftssoziologischen
Gesichtspunkten und Fakten scheint die Hypothese zu unterstützen,
daß - von welcher Art von Wissen auch die Rede sein mag - die Technologie
der Kommunikation ein bestimmender Faktor hinsichtlich der Artikulation
von Gedanken, der Mitteilbarkeit des Wissens, sowie des zu vermittelnden
Inhaltes ist. Die für ein gegebenes Zeitalter kennzeichnende Institution
der Kommunikation übt einen bedeutenden Einfluß sowohl auf die
Art und Weise des Wissensaustausches als auch auf das Tempo der Wissensakkumulation
aus, während die Eigenart der Artikulation nicht ohne Wirkung auf
das Verhältnis zwischen dem Gedanken und dem mitgeteilten Inhalt ist.
Es ist aufgrund dieser Überlegungen zu erwarten, daß die Verwendung
von multimedialen und mobilen Geräten die bisherigen Formen des kreativen
Denkens bedeutend modifiziert; und gleichzeitig auch die für die fragmentierten
Wissens- und Handlungsformen kennzeichnenden Artikulationsgewohnheiten
verändert.
János LAKI - Gábor PALLÓ: Die Wandlung der wissenschaftlichen Kommunikation
Der primäre Gegenstand der Wissenschaftstheorien ist die kognitive Beziehung des Erkennenden und des zu Erkennenden. Welchen Standpunkt sie auch in anderen Fragen haben mögen, so gehen die Wissenschaftstheoretiker doch stets davon aus, daß die Behauptungen, die das Wissen ausdrücken, intersubjektiv sind, ihr Sinn und ihr Wahrheitsgehalt also grundsätzlich für jedermann erkennbar sind. Die philosophische Analyse der Sprache der Wissenschaft ist eines der am gründlichsten durchdachten Gebiete der Wissenschaftstheorie, dennoch befaßt sie sich gewöhnlich nicht mit den Arten der wissenschaftlichen Kommunikation. Dabei ist es doch eine grundlegende Frage des tatsächlichen, nicht idealisierten Wissenschaftsbetriebs, wem und in welcher Form ihre Ergebnisse mitgeteilt werden, und was Zweck und Wirkung solcher Mitteilungen sind.
Der Vortrag gibt einen Überblick über die potentiellen Adressaten wissenschaftlicher Inhalte. Es wird dabei detaillierter auf die Kommunikation der Wissenschaftler untereinander eingegangen, insbesondere auf die Bedeutung der Publikationen in der Forschung sowie in den wissenschaftlichen Institutionen. Der Vortrag vertritt den Standpunkt, daß die Naturwissenschaften in ihrem heutigen Zustand typische Produkte der Buchkultur sind; ihre gesamte Funktionsweise wird durch dieselbe bestimmt. Die digitale Welt kann dieses System grundlegend verändern, sofern die Computernetzwerke tatsächlich ein völlig neues Medium der menschlichen Kommunikation darstellen.
- Das Leben des Forschers
verändert sich. Die Möglichkeiten kreativer Arbeit erweitern
sich räumlich und zeitlich.
- Die Effizienz der wissenschaftlichen
Produktion nimmt zu.
- Die Grundbegriffe bezüglich
des Akteurs der Wissenschaft ändern sich. So gibt es beispielsweise
kein klar definierbares kognitives Subjekt mehr.
- Das Bewertungssystem der
Wissenschaft und seine Grundbegriffe (z. B. Priorität, Originalität,
akademische Grade usw.) werden problematisch.
- Das Mobiltelefon verstärkt,
beschleunigt und radikalisiert all diese Veränderungen.
László FEKETE: Mensch, Maschine und Kommunikation: Einige Jahre vor der Konvergenz der Kommunikationsmittel
Im 20. Jahrhundert war mit dem Telefon das technische Problem der Übertragung von Gesprächen zwischen jeweils zwei Personen über große Entfernungen verbunden. Es funktionierte nach den Prinzipien der Analogie, der Reziprozität und der Gleichzeitigkeit. Es ermöglichte die Übertragung des Tons über große Entfernungen, nahm den Gesprächspartnern jedoch die Möglichkeit, andere sensorische Modalitäten der Kommunikation zu nutzen. Das Telefon des 21. Jahrhunderts wird sicherlich alle Modalitäten der interpersonalen Kommunikation anbieten. Allerdings wird dieses Telefon mit der Digitalisierung der analogen sensorischen Zeichen, ihrer Zerlegung in Teileinheiten und ihrer Manipulation noch keine radikal neue Epoche in der Geschichte der Kommunikation eröffnen, da es auf anthropologischen Prinzipien beruht. Andererseits ist die Richtung der radikalen Ausweitung des kommunikativen Raumes seit langem bekannt und offensichtlich: Es handelt sich um die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine sowie die der Maschinen untereinander. Bei dieser Kommunikation werden die Zeichen nicht mehr unbedingt in ihre ursprüngliche Form, das heißt zu solchen, die der Mensch auf natürliche Weise kodieren und dekodieren kann, zurückverwandelt. Wenn wir im Internet surfen oder die neuen und neuesten Dienstleistungen des Mobiltelefons nutzen, vergessen wir oft, daß wir nicht mehr ausschließlich (und im Falle des Internets nicht in erster Linie) mit unseren Mitmenschen, sondern mit Computern kommunizieren.